Der vorliegende Bericht hat zum Ziel, den in Deutschland aktuell vorliegenden Erkenntnisstand über die qualitätsgerechte Herstellung, Verarbeitung und Auslegung der in der Energie- und Prozessindustrie eingesetzten, mittlerweile etablierten 9 % bis 12 %-Cr-Stahlsorten bzw. deren Anwendungen zusammenzufassen. Weiterhin werden Hinweise und Vorschläge zur wiederkehrenden Prüfung und Überwachung der aus diesen Stahlsorten gefertigten Komponenten unter Betriebsbedingungen gegeben. Darüber hinaus wird über neue internationale Forschungsschwerpunkte und -richtungen informiert.
Die Verfasser sind sich einig, dass dieses Dokument nicht allumfassend sein kann, denn es existiert mittlerweile eine riesige Fülle an wissenschaftlichen Publikationen zu dieser Werkstofffamilie und insbesondere zu einzelnen Sorten. Es ist vielmehr eine Zusammenstellung der relevanten Informationen als Einführung für den Anwender in der konventionellen Kraftwerkstechnik sowie in den zukünftigen Energiewandlungsanlagen. Das Autorenkollektiv hat sowohl vertiefende Details als auch vergleichende Betrachtungen einfließen lassen.
Die Verbrennung fossiler Stoffe ist die älteste von den Menschen genutzte Form der thermischen Energieumwandlung. Das ist heute auch weiterhin eine Grundlage sowohl für den Betrieb von konventionellen Kraftwerken, um elektrische Energie zu erzeugen, als auch für die Anlagen in Chemie, Petrochemie und Raffinerien, um Prozessdampf herzustellen oder Fluide aus verfahrenstechnischen Gründen zu erhitzen.
Für einen hohen Wirkungsgrad bei der Energieumwandlung muss die Temperatur des Wasserdampfkreislaufes vor einer Dampfturbine entsprechend hoch sein. Diese erforderlichen Temperaturen müssen durch die dafür geeigneten, hochwarmfesten Stahl-sorten gewährleistet bzw. ertragen werden. Ob Dampfkesselanlage, Druckbehälteranlage, Rohrleitungssystem oder Turbine, alle bedürfen Stahlsorten mit vergleichbar hoher Zeitstandfestigkeit und Oxidationsresistenz sowie guter Herstellbarkeit und Prüfbarkeit. Hierfür wurden die im vorliegenden Bericht beschriebenen martensitischen Werkstoffe in die Technik eingeführt und stetig weiterentwickelt.
Wenn in dieser Stahlfamilie eine signifikante Entwicklung stattfand, dann zeigte sich stets ein weitreichender Entwicklungssprung für die gesamte Energie- und Prozessindustrie. Die Geschichte der martensitischen Werkstoffe beginnt in den 1920er Jahren. 100 Jahre später sind diese Werkstoffe nicht mehr aus den thermischen Kraftwerken und der Prozessindustrie wegzudenken. Sie sind die aktuelle Basis für den Einsatz bei Bauteil- bzw. Oberflächentemperaturen bis zu ca. 635 °C in konventionellen Kraftwerken und bis zu ca. 700 °C in Prozessöfen von Raffinerien.
Im Zuge der weitreichenden Veränderungen des Energiesektors zur CO2-neutralen Energieumwandlung ist es wichtig, dass das Fachwissen um diese Stahlfamilie in gut strukturierter und einfach zugänglicher Form nachvollziehbar den verantwortlichen Fachleuten weitergegeben werden kann. Es wird in der Übergangszeit der Energiebereitstellung weiterhin konventionelle Kraftwerke geben müssen, die systemrelevant sind und fehlende Speicherkapazitäten überbrücken werden. Diese hier betrachtete Stahlfamilie wird darüber hinaus aber auch weiterhin in Anlagen der Chemie, Petrochemie und Raffinerien sowie auch für zukünftige Energiewandlungskonzepte, wie z. B. für mit Wasserstoff betriebene GuD-Anlagen, benötigt.
Einführend zu diesem Dokument müssen einige Begrifflichkeiten erläutert werden, um immer wieder auftretende Unklarheiten bzw. Missverständnisse zu verhindern.
Der Begriff „martensitisch“: Die Stähle dieser Familie werden für die voran genannten Anwendungen mit einem vollständig angelassenen martensitischen Gefüge eingesetzt. Die Matrix ist ein sehr feinkörniger Ferrit, mit feindispersen, teils größeren Ausscheidungen und einer hohen Versetzungsdichte. Im Mikrogefüge sind die übergeordneten Konturen des Martensits (eine optische Überstruktur) gut erkennbar, die aus der Austenitisierungswärme beim Abkühlen in Richtung Raumtemperatur entstehen. Dabei verzögern bestimmte Legierungselemente das Umwandlungsgeschehen, sodass meist beschleunigte Luft ausreicht, um 100 % Martensitgefügeanteil zu erreichen. Dies ist ein elementarer Zwischenschritt der Wärmebehandlung, da ansonsten die nach dem finalen Anlassen notwendigen Werkstoff- und Gebrauchseigenschaften nicht vorliegen.
Eine weitere Besonderheit ist der technische Sprachgebrauch zu diesen Stahlsorten. Immer dann, wenn bestimmte Dinge immer wieder benutzt, verwendet, diskutiert und analysiert werden, werden lokale Bezeichnungen zu globalen Standardbegriffen.
Sinngemäß ist das z. B. mit den Werkstoffen X20 (X20CrMoV12-1), P91 (X10CrMoVNb9-1) und P92 (X10CrWMoVNb9-2) erfolgt. X20 ist einfach die Abkürzung des längeren genormten Kurznamens. P91 und P92 sind die ASME-Werkstoffbezeichnungen für unbeheizte Rohre = „P=Pipe“. Im betrieblichen Kontext ist es mittlerweile Standard, nur noch von P91 und P92 zu sprechen, unabhängig davon, ob Schmiedestücke („F..“ wie Forging) oder beheizte Rohre („T..“ wie Tube) gemeint sind. Um dieser Unsicherheit im vorliegenden Dokument entgegenzuwirken, wurden die Werkstoffe mit Grade 91 und Grade 92 benannt.
„C“ (wie Cast) als Anführungskürzel klassifiziert das Material als die Gussvariante der entsprechenden Stahlgüte. Die Bezeichnung C91 ist hierfür ein Beispiel.
204 S., Abb., teils farbig, Bildanhang, Tabellen (2023)
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